
Teil 1: Synthia – Die Sanduhr des Lebens
Als der schwerkranke Steve seine Tochter Synthia zu sich an sein Krankenbett ruft und sie zu einem geheimen Zeichen im Keller ihres Hauses schickt, beginnt für diese eine abenteuerliche Odyssee in eine ihr vollkommen fremde Welt. Sie muss bald erfahren, dass sie von einem gefährlichen Widersacher ihres Vaters verfolgt wird. Mit der Hilfe ihrer neu gewonnenen Freunde Mark und Torfmuff, muss sie Abenteuer und Prüfungen bestehen, um ihren Vater vor dem sicheren Tod zu bewahren.
Prolog
„Oh, nein“, kam es flehend über Susannes bleichen Lippen. Ihr schmaler Körper krümmte sich unter den Qualen einsetzender Wehen. Ihre Hand zitterte, als sie sich die Tränen aus dem Gesicht wischte. Allein gelassen, von stechenden Schmerzwallungen geschwächt, übermannte sie eine tiefe Hoffnungslosigkeit. Niemand kümmerte sich um sie und der Frucht in ihrem Leib – ihrem Kind, das genauso einsam werden würde, wie sie sich fühlte. „Nicht hier, nicht jetzt!“, stöhnte sie mit zittrig schwacher Stimme. „Ich muss hier raus.“ Nur die kalten Wände dieses düsteren Hauses, das ein Eigenleben zu haben schien, konnte sie hören. Ja, vielleicht konnten die alten Mauern ihre Verzweiflung tatsächlich wahrnehmen, doch sie verhöhnte sie auf eigentümliche Weise.
Geschichten rankten um die alten Gemäuer, die einst prunkvoll gewesen sein mussten. Auf einer kleinen Anhöhe gebaut, umgeben von hohen Platanen und einigen wenigen Mammutbäumen, blickten deren Fenster mystisch anmutend in die Landschaft umher. Wartend und wissend. Doch auf was konnte ein Haus schon warten, und was konnte es wissen? Als sie und ihr Mann vor einigen Jahren auf der Suche nach einer neuen Bleibe waren, hatten sie dieses Haus entdeckt. Verwahrlost, mit teilweise zerbrochenen Scheiben, demolierter Fassade und fehlenden Ziegeln, lag es armselig in einem ungepflegten, wenn auch urbanen Park. Es übte eine Faszination auf sie beide aus – anziehend und abstoßend zugleich – die sie heute nicht mehr verstand. Doch es mussten Jahre vergehen, bis sie begriff, dass dies kein Ort für eine glückliche Familie sein würde. Es forderte Arbeit, Schweiß, und Qualen voller Mühe, doch es gab nichts zurück. Selbst das prasselnde Feuer im Kamin, schien sie kalt zu berühren. Seltsame Dinge passierten, und damit waren nicht das Knacksen der alten Holzdielen, oder das nächtliche Stöhnen und Wispern von Stimmen gemeint, die man sich mit ein wenig Fantasie erklären konnte. Nein, es waren Erlebnisse und Ereignisse, die sie sich zunehmend verunsicherten. Aber immer, wenn sie mit ihrem Gatten darüber reden wollte, schnitt er ihr jäh das Wort ab, und titulierte sie als gelangweilte Frau mit einer überblühenden Fantasie. Und so begann Susanne sich mehr und mehr zurückzuziehen. Zu beobachten und Vorsicht walten zu lassen. Ihr wurde bewusst – dieses Gebäude lebte! Es war nicht erschaffen für ein wohliges und schützendes Zuhause, sondern für etwas anderes, das sie ihrem Verständnis entzog. Seit dem Tag, an dem sie mit ihrem Mann in dieses Haus eingezogen war, hatte er sich verändert. Er wurde von Woche zu Woche, von Tag zu Tag, von Stunde zu Stunde, eigenartiger und gefühlskälter. An manchen Tagen erkannte sie ihn kaum wieder, als wäre er von etwas besessen, das einen eigenen Willen hatte. Ihre im Liebesglück geschmiedeten Pläne für eine Zukunft mit vielen Kindern, zerbarsten wie ein fallengelassener Spiegel. Und irgendwann lagen nur noch Glassplitter zu ihren Füßen, die jeden Schritt mit Pein erfüllten.
Angst war der richtige Begriff dafür, für das, was sie in diesem Augenblick empfand. Angst und Verzweiflung! Klebrig und ungepflegt hingen ihre einst prachtvoll glänzendbraunen Haare zerzaust über ihre dürren Schultern. Mit ausgemergelten, knöchrigen Armen tastete sie sich hilfesuchend durch die Schwärze des Raumes, die mit einer unnatürlichen Dunkelheit ihre Seele umklammerte. Das Atmen fiel ihr schwer, als würde ein Dämon auf ihrer Brust sitzen. Trotz der feuchten und kühlen Luft, die stetig durch das undichte Fenster zog, standen glitzernde Schweißperlen auf Ihrer Stirn. Der Tod war nah, obwohl sie ein Pulsieren in ihrem schmerzenden Leib spürte, das nach Leben trachtete. Ein Sohn, der eine Zukunft forderte. Es war das Einzige, was ihr noch blieb.
„Hallo … hört mich denn keiner? Ich bekomme mein Kind.“ Die letzten Worte kamen nur noch schwach und weinerlich über ihre Lippen, so als ahnte sie bereits, dass ihr niemand zur Hilfe herbeieilen würde. Eine beklemmende Stille schrie ihr entgegen und gab ihr deutlich zu verstehen, dass sie alleine sterben würde. Dieses Haus sollte also ihr düsteres Grab werden? In fast ohnmächtigem Zustand zogen die letzten Jahre ihres Lebens an ihr vorbei.
„Was mache ich nur?“, seufzte sie mit schmerzverzerrtem Gesicht und drehte sich mühsam zur Seite. Zärtlich strich sie gedankenverloren über den Bauch. Wie lange sie so lag, wusste sie nicht, bis sie ein aufziehender Novembersturm wieder in ihre ausweglose Düsterheit zurückholte. Mühsam stemmte sie sich auf und schlurfte barfüßig zum Fenster. Schwere Regentropfen peitschten gegen die Scheiben, so als wollten sie das Glas zerbersten. Die Äste eines alten, kahlen Baumes schlugen und kratzten gegen die aufgeklappten Läden. Hell blendende Blitze zuckten wild auf die Erde nieder, und ihr gespenstiger Schein, tauchte den Raum für Sekundenbruchteile in weißes, gespenstig gleißendes Licht. Tränen der Verzweiflung rollten heiß über ihre Wangen und nässten die schmale Fensterbank.
Wo war ihr Mann? Hatte er ihr nicht geschworen, in guten als auch in schlechten Zeiten immer an ihrer Seite zu weilen? Ja, das hatte er. Und sie hatte ihm geglaubt, denn er war ein guter Mann. Zumindest bis er auf ein verborgenes Gewölbe im Keller gestoßen war. Von diesem Tag an begann er sich zu verändern, als würden zwei Seelen in seiner Brust sitzen. Manchmal war er besorgt, mitfühlend, so wie sie ihn kennen und lieben gelernt hatte und dann wieder böse, gereizt und kalt. Sie hatte die Gründe hierfür auf die viele Arbeit geschoben, die sein Beruf mit sich brachte, doch log sie sich nur an. Sie wollte es nicht wahrhaben, dass sie einer dunklen Zukunft entgegensteuerten. Als sie ein Jahr später ungewollt schwanger wurde, und sich alles weiter verschärfte, schrie ihr Inneres laut auf zu flüchten, solange es noch möglich war. Eine irrige Hoffnung lähmte diesen Drang alles hinter sich zu lassen. Und jetzt war es zu spät.
Wieder krümmte sie sich unter einem durchdringenden, ziehenden Schmerz, der ihr diesmal die Besinnung zu rauben drohte. Einfach loslassen und sterben, war ihr erster Impuls, doch sie hatte sich schnell wieder im Griff. Die Verantwortung ihrem noch ungeborenen Sohn gegenüber wog mehr, als alle Pein und Marter dieser Welt. Die Abstände der einsetzenden Wehen hatte sich merkbar verkürzt. Ihr Kind würde bald das spärliche Licht dieses kalten Novembertages erblicken, und es würde Hilfe benötigen. Dringend. Müde schleifte sie ihre Beine über die rauen, von den Jahren gedunkelten Holzdielen. Immer wieder musste sie tief atmend stehen bleiben, um neue Kraft zu schöpfen. „Warte, bitte noch!“, flehte sie gebrochen. Wenige Schritte später stand sie an einer prunkvollen breiten Treppe, die in weitem Bogen zur unteren Ebene führte. Nur noch schemenhaft vernebelt, nahm sie die unwirklich gewordene Umgebung wahr, die sie wie in Trance durchschritt. Taumelnd, mit weichen Knien, die immer wieder einknickten. Fiebrig glänzten ihre Augen, und fremde Laute drangen an ihr Ohr. Die Dunkelheit wich einer neuen Realität, in der die Diele plötzlich hell wurde. Gedämpft ertönte Musik aus dem Salon im Erdgeschoss. Die Wände, der Boden, alles veränderte sich. Verwundert blieb sie kurz stehen, drehte sich im Kreis und staunte, als sie die neuen Bilder und Eindrücke wahrnahm. Frauen und Männer standen in kleinen Gruppen zusammen und unterhielten sich. Gelegentlich ertönte ein destingiertes Lachen. Damen in eleganten Kleidern gehüllt, und Herren in schwarzen Smokings und einigen wenigen Fracks. Ein Traum lang vergessener Tage aus dem letzten Jahrhundert. Vergessen und gestorben, so wie es auch ihr bald ergehen würde. Niemand nahm Anstand an ihrem schäbigen Zustand oder ihrem von Pein genötigten Stöhnen. Sie war Luft in einer geisterhaften Inszenierung.
Mit letzter Kraft drehte sie sich von der Gesellschaft ab, durchquerte die Küche und stieg ziellos die Kellertreppe hinab. Ziellos? Wer oder was zog sie hinab in diese Gruft, die vor einem geschlossenen Tor endete. Ihre nackten Füße berührten den kalten Boden, doch sie spürten ihn nicht mehr. Ihr Atem ging nur noch stoßweise und röchelnd. Schwanken stand sie da und wartete. Tief in ihrem Inneren stellte sich Susanne die Frage, worauf. Plötzlich öffnete sich das schwere Tor – von Geisterhand geführt. Geräuschlos. Dahinter öffnete sich ihr ein großer Raum, durchflutet von bläulichem Licht. Aus zahllosen Symbolen, die in einem Kreis angeordnet waren, züngelten kleine Flammen. Und in der Mitte stand eine hochgewachsene Gestalt, die eine weiße Maske trug. Der Ohnmacht nahe hob sie abwehrend ihre Hände, und ein weinerliches »Oh bitte, nein«, entrannt schwach ihrer Kehle.
»Braves Mädchen«, erwiderte die Gestalt in verhöhnendem Ton. Susanne wollte fliehen, sich und ihr ungeborenes Kind retten, aber es war zu spät. Schon viele Jahre zu spät!
Details zum Buch
Erhältlich als eBook und Taschenbuch
Verlag: SadWolf
268 Seiten (Taschenbuch-Ausgabe)
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