
Teil 3: Synthia – Der Blutring
Der Dunkle Fürst ist vorerst verbannt, doch hat er dabei die Gewalt über ein machtvolles, magisches Relikt verloren: den Blutring. Obwohl der Dunkle Fürst der Feind von Synthia und ihren Gefährten ist, müssen sie alle eine Allianz eingehen, um sich dieser Gefahr stellen zu können.
Der Ring findet seinen Weg zu Mark, dem Halbbruder Synthias. Da er sich dem manipulativen Geist, der in dem Ring gefesselt ist, nicht bewusst ist, nimmt er ihn ahnungslos an und trägt ihn. Mark verändert sich zunehmend, doch keiner bemerkt seine Besessenheit, bis es zu spät ist.
Mark ist inzwischen besessen und gefährlich. Und steht mit dem Heer des Dämons Karyl vor der Stadt Galamed, um sie zu zerstören. Ein Kampf um Leben und Tod beginnt.
Prolog
Die Wolken schoben sich vor den prallen Vollmond und tauchten den bizarren Küstenstreifen in eine undurchdringliche Schwärze. Noch vor wenigen Minuten hatte der kleine Zweiruderer wie eine den Gezeiten ausgelieferte Nussschale in den mannshohen Wellen geschaukelt. Doch von einer Sekunde zur anderen schien alles in sich zu verharren. Kein Wellengang, keine Geräusche, kein Leben. Stille.
„Oh Mann, ist das gruselig hier“, flüsterte Schlaufe. Ein eiskalter Schauer lief über seinen Rücken und ließ ihn innehalten. Er liebte diesen Namen zwar nicht, und er stand auch im krassen Gegensatz zu seinem stämmigen Aussehen, aber er trug ihn seit seiner frühen Kindheit. An seinen eigentlichen Namen konnte er sich nicht mehr erinnern. Das ist zu lange her, pflegte er zu antworten, wenn man ihn danach fragte. Schlaufe war nun sein richtiger Name, wenn auch kein schöner.
„Halts Maul, Schlaufe. Wenn du jetzt kneifen willst, leg ich dich gleich hier um. Verstanden?“, blökte der raubeinige Will.
Schlaufe und Will kannten sich seit vielen Jahren, und sie hatten schon so manches Abenteuer miteinander erlebt. Wobei Abenteuer nicht die richtige Beschreibung für ihre Diebestouren war. Da man jedoch nie genau wusste, was als Nächstes passierte, stimmte sie dennoch ein wenig.
„Will, es ist doch nicht normal, dass der Wellengang plötzlich abebbt. Einfach so.“
„Richtig. Aber es ist auch nicht normal, dass du so kotzblöd bist. Also überlass mir das Denken und rudere weiter“, befahl Will mit seiner tiefen, rauen Bassstimme.
Schlaufe verzog sein Gesicht und tat, wie ihm geheißen. Er ruderte. Jeder Schlag in das stille Wasser klang so laut und verräterisch, als wollte das Meer selbst ihnen davon abraten, sich der Insel weiter zu nähern. Was sich Will jedoch einmal in den Kopf gesetzt hatte, wurde auch durchgezogen. Komme, was wolle.
„Da drüben ist eine seichte Stelle.“ Will zeigte in eine Richtung, an der die scharfen Felsen eine kleine Sandbank freigaben. Sie befand sich nur noch etwa fünfzig Meter von ihr entfernt. Sanft ließ Schlaufe die Paddel ins Wasser tauchen und ruderte weiter.
„Hörst du das, Will?“
„Was?“
„Hmmm … nichts. Nicht mal Vögel, oder …“
„Wenn du weiter so einen Müll laberst, dann pack ich dich und schmeiß dich ins Meer. Klar? Seit wann zwitschern Vögel in der Nacht? He? Wenn du eine Buddel Rum zu viel gesoffen hast, dann vielleicht. Also halt endlich deine Klappe.“
Will arbeitete nicht gern mit Schlaufe, da aber die meisten seiner Kumpel eher ein kurzes Leben hatten, blieben ihm nicht mehr viele. Davon abgesehen hatte Schlaufe einige Talente, die man für das Diebeshandwerk gut gebrauchen konnte. Es war sein Umgang mit jeglichen Stricken und Schlaufen eben. Er vermochte es zum Beispiel, ein kleines Lasso zu werfen, das er so um ein Diebesgut zurren konnte, bis er es fest im Griff hatte. Das konnte kein anderer so gut. Dieses Talent hatte sich schon oft als sehr nützlich erwiesen, und Will wollte auf dieses Talent nicht verzichten, auch wenn es ihm manchmal Mühe bereitete, sich mit einem Menschen zu unterhalten, der so dumm war.
Nach wenigen Minuten hatten sie die Stelle erreicht, die Will für ihr Anlanden auserkoren hatte. Noch immer war die See still und geräuschlos. Auch Will hatte seine Bedenken, ob sie gerade hier auf ihre Diebestour gehen sollten. Jetzt aber war es zu spät und keine zehn Drachen würden ihn wieder von hier wegbringen. Zumindest noch nicht. Erst wollte er Schätze suchen und wertvolle Gegenstände stehlen, bevor er sich wieder von hier verdrücken würde.
„Da oben ist das Schloss. Soll leer sein, aber wir müssen dennoch höllisch aufpassen, weil Schlösser von Zauberern fiese Fallen haben. Immer aufpassen. Klar?“ Will gab Schlaufe einen derben Klaps auf die Stirn, dass es klatschte.
Dieser Hinweis war alles andere als erforderlich. Schlaufe hatte schon bei ihrer Abreise ein ungutes Gefühl gehabt, was sich jetzt nur noch mehr verstärkte. Irgendetwas stimmte hier nicht, also würde er nicht nur aufpassen, sondern besonders aufmerksam sein. Er hing an seinem Leben, wenn es auch in den Augen anderer erbärmlich erschien. Schon lange nicht mehr schaute er in die Augen seiner Mitmenschen, die ihn abfällig oder herablassend musterten. Natürlich sah seine Kleidung schäbig aus, aber womit hätte er sich andere leisten sollen? Dass er oft hungrig schlafen gehen musste, interessierte sowieso niemanden. Also war er froh, dass er Arbeit hatte, egal, was andere darüber dachten. Will hatte in einer einschlägig bekannten Taverne Zum Brockeltroll gehört, dass dieses Schloss seit einiger Zeit nicht mehr bewohnt sei, und hatte sich daraufhin in den Kopf gesetzt, es aufzusuchen. Verlassene Häuser waren immer die besten Objekte. Hier konnte man wenigstens ungestört alles durchsuchen und musste keine Angst haben, dass man überrascht wurde. Einsteigen, ausrauben, abhauen. Einfacher ging es nicht.
Ein Schloss jedoch war in Schlaufes Augen etwas völlig anderes. Hier spukte es und man konnte sich gewiss nicht sicher sein, ob unbewohnt auch wirklich unbewohnt bedeutete. Geister konnte man nicht sehen und doch waren sie vielleicht da, um einem das Lebenslicht auszuhauchen. Schlaufe war alles andere als feige, aber Dinge, die er nicht sehen oder begreifen konnte, fürchtete er.
Der Weg zum Schloss erwies sich als mühsam. Überall lag Geröll auf dem unbefestigten Pfad, der ahnen ließ, dass er schon lange nicht mehr genutzt wurde. Als sie endlich am Fuß eines der Seitentürme ankamen, blieb Will stehen und hielt Schlaufe am Arm fest.
„Psst, hier werden wir versuchen, rein zu kommen.“
Schlaufes Blick folgte Wills Augen, die auf eine Luke in einer Höhe von fünf Meter gerichtet waren.
„Hoch.“
„Ja“, bestätigte Will und wies ihm mit einem Kopfschwenk an, seinen Job zu erledigen.
„Ich?“
„Schwachkopf, ja. Verdammt, hoch mit dir.“ Will trat einen Schritt zurück.
Typisch Will, dachte sich Schlaufe, öffnete missmutig seinen Rucksack und holte ein langes Seil heraus. Geschickt band er einen Haken aus Eisen daran fest und postierte sich etwa zwei Meter vor die Mauer. Dann schwang er den Haken durch die Luft, bis er genügend Schwung hatte und ließ ihn nach oben schnellen. Bereits beim ersten Mal traf er die schmale Luke, in der sich der Haken fest am hervorstehenden Sims verfing. Das war einer seiner Spezialitäten. Leider ging es meistens mit der zweifelhaften Ehre einher, als Erster nach oben klettern zu dürfen.
Will schaute gebannt auf die dunkle Luke. „Auf, beeil dich“, grunzte er. Nach einem leisen Seufzer straffte Schlaufe resigniert das Seil, um danach akrobatisch nach oben zu klettern. Fünf Meter konnten für einen ungeübten Kletterer ein unüberwindliches Hindernis bedeuten. Nicht so für Schlaufe, der sich in Windeseile nach oben hangelte, indem er unermüdlich die Beine gegen die schroffe Wand stemmte und sich Stück für Stück kräftig nach oben zog. Danach verschwand er in der Luke, um kurz danach seinen Kopf herauszustrecken und Will ein Zeichen zu geben, dass er ihm gefahrlos folgen konnte.
Will war schwerfälliger, was er seinem mächtigeren Körperumfang zu verdanken hatte. Doch auch er überwand die Höhe für seine Verhältnisse erstaunlich schnell. Schweißperlen glänzten auf seiner Stirn, als er umständlich durch die Luke gekrabbelt kam.
„Was Verdächtiges gesehen?“, fragte er schwer atmend und ging Schutz suchend in die Hocke.
„Nein, zu dunkel.“
„Zu dunkel? Willst du sagen, du hast mich hier rauf klettern lassen, ohne den Raum zu sichern?“
„Ähm … ja.“
„Schlaufe, dass du total verblödet bist, wusste ich ja. Aber, verdammt noch mal, wir sind hier nicht auf einem Sonntagsausflug.“ Wieder klatschte er ihm mit der flachen Hand auf die Stirn. „Mach die Laterne an!“
Will zog sein Messer aus dem Gürtel und wartete. Als Schlaufes Laterne endlich Licht warf, erkannten sie, dass sie sich in einem lang gezogenen Korridor befanden, dessen Ende sie nicht erkennen konnten.
„Oh, Mann. Ist groß hier“, stellte Schlaufe anerkennend fest.
„Klar, ist doch ein Schloss. Was hast du erwartet? Eine Ziegenhütte?“ „Nein, aber…“ Schlaufe blickte angestrengt in die Dunkelheit vor ihnen.
„Aber?“
„Aber warum haben sie hier keine Wachen?“
„Ich glaub es nicht!“ Fassungslos verdrehte Will seine Augen zur Decke. „Weil das Schloss verlassen wurde, du Depp. Ich habe es dir doch schon gesagt.“
„Ja, aber warum verlässt man ein Schloss?“
„Weil … weil … ach, ich weiß auch nicht. Du mit deinen blöden Fragen.“ Drohend ließ Will seine geballte Faust vor Schlaufes Gesicht kreisen. „Noch so ein Kommentar und ich kann mich nicht beherrschen. Halt die Klappe und mach, was ich sage. Los, lass uns den Kasten hier durchstreifen. Und sei…“
„… vorsichtig. Ich weiß.“
„Genau“, antwortete Will und fletschte gefährlich seine Zähne.
Leicht geduckt schlichen sie den steinernen Gang entlang, bis sie an einer Tür ankamen.
„Hat kein Schloss“, bemerkte Schlaufe und fuhr sich ratlos durch die zerzausten Haare, die strähnig herabhingen, als hätte er sich einen Mopp aufgesetzt. Vergeblich suchte als er nach einer Möglichkeit, die massive Tür zu öffnen.
„Schlaumeier. Das sehe ich auch.“ Ruppig schob ihn Will zur Seite. Nachdem auch er keine Möglichkeit fand, sie zu öffnen, stemmte er sich gegen die schwere Holztür, doch sie bewegte sich keinen Millimeter. Auch gab sie keine Geräusche von sich, die darauf hätten schließen lassen, dass sie unter Anwendung von Gewalt nachgeben würde.
„Stabil, wie?“
„Nächste Tür“, befahl Will gereizt.
Aber auch die anderen Türen hatten kein Schloss und trotzten den Besuchern mit unnachgiebiger Standhaftigkeit. Nach zehn weiteren Fehlversuchen kamen sie am Ende des Gangs bei einer Treppe an.
„Die Treppe runter? Oder eine der Türen aufsprengen?“, fragte Schlaufe ruhig.
„Schlaufe, spinnst du jetzt völlig? Weißt du, wie laut das ist?“
„Ja, aber du sagtest doch, das Schloss sei verlassen.“
„Mag sein. Aber was ist, wenn es doch nicht so ist?“
„Oh, dann hätten wir ein Problem. Oder?“
„Ja, Schlaufe. Komm, lass uns die Ebene darunter abgrasen. Verdammter Dreckskasten“, fluchte Will und ging energisch voran.
Schlaufe jedoch kannte ihn nur zu gut, um nicht die Unsicherheit in seinen Bewegungen zu erkennen.
Unten angekommen, verliefen seitlich zwei Gänge, die auch nicht bis zu deren Ende einsehbar waren.
„Schlaufe, du nimmst den linken, ich den rechten Gang. Wenn eine Tür aufgeht, dann pfeife einmal kurz. Verstanden? Nicht brüllen, einfach nur einmal pfeifen.“
„Ja. Einmal kurz pfeifen. Laut?“
„Was, laut?“
„Soll ich laut pfeifen?“
„Schlaufe, pfeif laut genug, damit ich dich hören kann.“
Schlaufe blieb einige Zeit stehen und schaute ihm hinterher, bevor er sich seinem Gang zuwendete. Er war dunkel und barg eine düstere Warnung. Schlösser hatten eine lange Vergangenheit mit schaurig geheimnisvollen Geschehnissen. Kerker, in denen Menschen gefangen gehalten und gequält wurden, die selbst nach ihrem Tod als Geister keine Ruhe fanden. Hier wurden Pläne geschmiedet, um andere zu knechten und zu unterdrücken. Wie also konnte ein solches Gemäuer eine angenehme Ausstrahlung haben? „Ach je“, seufzte er und schlich zaghaft in die Dunkelheit hinein. Als er endlich am Ende des Gangs ankam, blieb er vor einem seltsamen Tor stehen. Es unterschied sich von all den anderen und bestand nicht aus Holz, sondern einem dunklen Material, das er nicht kannte. Vorsichtig ließ er seine Finger darüber gleiten. Sie war glatt und schien irgendwie zu vibrieren, als würde sie leben. Plötzlich öffnete sie sich langsam, ohne, dass er Druck auf sie ausgeübt hatte.
„Oh“, flüsterte er erstaunt.
Seine Nackenhaare stellten sich auf und eine Schweißperle suchte einen Weg über seine Wange. Angst war ein seltsames Gefühl; einem Urinstinkt gehorchend, entzog sie sich dem Verstand. Sie schien ihm raten zu wollen, den Raum dahinter nicht zu betreten, aber das Schicksal hatte bereits das Unausweichliche besiegelt. Vielleicht sogar bereits bei seiner Geburt, bei der sein armseliger Weg hierher vorbestimmt war.
Es war ein großes, massives Tor, das wahrscheinlich einer ganzen Armee hätte trotzen können. Doch warum hatte es sich geöffnet? Zögernd lugte er hinein und blieb staunend an der Eingangsschwelle stehen. Vor ihm lag ein riesiger, heller Saal mit zerborstenem Mobiliar, chaotisch und rußverschmiert, als hätte ihn eine gewaltige Explosion zerrissen. Schlaufe verstand erst nicht, woher die Helligkeit kam, bis er an der Decke ein gewaltiges Loch entdeckte, über das einst eine Glaskuppel gespannt gewesen sein musste. Noch immer zeigten die Ansätze der Kuppel, fauligen Zähnen gleich, mahnend in den Sternenhimmel. Irgendetwas muss sie mit gewaltiger Kraft zertrümmert haben, da die Reste des Daches verteilt auf dem Boden lagen. Überall glitzerten die Splitter der Glasscherben, tausend kleiner Glühwürmer gleich, im Schein des Mondes. Überwältigt von dem, was er hier sah, dauerte es einige Zeit, bis er sich wieder an seinen Auftrag erinnerte.
„Pffft“, versuchte er zu pfeifen. „Mist. Ich kann ja gar nicht pfeifen“, fluchte er und schaute sich verstohlen um.
„Will“, zischte er in den Gang. Aber es kam keine Reaktion. Nach kurzer Überlegung entschloss er sich, doch erst einmal den Raum zu sichern, wie Will es von ihm vorher gefordert hatte. Mit der Laterne, wie ein Schutzschild vor sich haltend, trat er ein und merkte nicht, wie sich das mächtige Tor hinter seinem Rücken geräuschlos schloss.
Details zum Buch
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